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Interview: Kleingärten als besondere Orte für Teilhabe & bürgerschaftliches Engagement

Frau Prof. Dr. Dr. Martina Oldengott im Interview mit Stephan Bevc.
Das Kleingartenwesen hat aufgrund seiner Organisationsstrukturen, seiner Vielzahl und Vielfalt von Familien und Einzelpersonen in den Kleingartenvereinen eine hohe gesellschaftliche Relevanz in IDeutschland. Die Integration von Menschen in die Gemeinschaft und die Einbeziehung in Vereinsaktivitäten auf allen Ebenen und in unterschiedlichsten Formaten gelingt immer wieder. Das legt die Frage nahe, ob es eine kleingärtnerspezifische „DNA“ gibt, die für diesen Erfolg verantwortlich ist und die Kleingärten zu besonderen Orten der Teilhabe und des bürgerschaftlichen Engagements macht.

©Bezirksverband Castrop-Rauxel/Waltrop der Kleingärtner e.V.

Dieses bürgerschaftliche Engagement strahlt über die Grenzen der Kleingartenvereine hinaus – bis in die umliegenden Stadtteile. Ich habe mich gefragt, welche Faktoren ausschlaggebend sind, um sowohl die Beteiligung von Mitgliedern innerhalb der Kleingartenvereine zu motivieren, als auch nach außen Multiplikatoren-Wirkung zu erzeugen. Über mögliche Erfolgsrezepte habe ich mit dem Ersten Vorsitzenden des Bezirksverbandes Castrop-Rauxel / Waltrop der Kleingärtner e.V. der Kleingärtner, Stephan Bevc, gesprochen.

Stephan, wie bist Du dazu gekommen, Dich für eine Aufgabe im Kleingartenverein zu engagieren, Führungsverantwortung zu übernehmen, andere Gartenpächter einzubeziehen, Teilhabe anzubieten und das vor allem schon auf so lange Zeit?

Stephan Bevc lacht fröhlich und sagt sofort und ganz spontan: „Unverbesserlich, begeisterungsfähig, ausdauernd und unerschütterlich im Glauben an das Gute muss man sein – genau wie Du!“

Wie bist Du in Deine Aufgaben hineingewachsen?

Stephan Bevc, 1. Vorsitzender des Bezirksverbandes Castrop-Rauxel / Waltrop
  © Landesverband

„Ich bin eher zufällig und ohne Absicht in das Netzwerk der Kleingärtner hineingekommen. Am Anfang stand der Wunsch nach einem Garten. Wenn es dann gelingt, eine Parzelle zu pachten, stellen sich viele organisatorische und fachliche Fragen. Das Besondere an Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern ist sicherlich ihre Offenheit. Anders geht es gar nicht, wenn man in einem Kleingärtnerverein mit vielen weiteren und sehr unterschiedlichen Menschen gut zurechtkommen möchte.

Ich hatte genau solchen offenen Menschen zu verdanken, dass sie mich haben ankommen lassen, immer ansprechbar waren, mich mitgenommen haben, aber auch einfach machen ließen. Dieses Machen und Ausprobieren ist wichtig, auch das Fehlermachen. Aus Fehlern lernt man fast am meisten. Aber dann nicht Kritik zu leisten, sondern Hilfe anzubieten, zum Weitermachen zu ermuntern, das ist eine wichtige Grundlage für die Geborgenheit, für das Wohlgefühl und ein dauerhaftes Engagement im Kleingärtnerverein.

Ich wollte mit Leidenschaft in meinem Garten experimentieren und hatte keinerlei Motivation auf eine Führungsposition. Um gärtnerische Erfahrung zu sammeln und das Wissen zu erweitern, sind die Fachberaterinnen und Fachberater eine wichtige Anlaufstelle. Ich habe ihr Wissen genutzt, habe auch an Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen, viel gelernt, meine Erfahrungen weitergegeben und irgendwann war die Position des Fachberaters in unserem Verein vakant und neu zu besetzen. Ich wurde gefragt, ob ich die Aufgabe übernehmen möchte und bin auf diese Weise eher zufällig in meine erste Führungsposition im Verein gelangt.

Sich in einem Verein als Fachberater zu engagieren, kann ein wichtiges Karrieresprungbrett im Kleingartenwesen sein. So bin ich zunächst als Vorsitzender meines Vereins Stufe für Stufe in Führungsaufgaben des Bezirksverbandes Castrop-Rauxel / Waltrop und dann auch als Beisitzer im Vorstand des Landesverbandes Westfalen und Lippe hineingewachsen. Verantwortungsbewusstsein, Ausdauer und Begeisterung sind wichtig, wenn man eine Aufgabe ernst nehmen möchte. Von einem langen Atem und personeller Kontinuität profitieren alle, im Verein, im Bezirks- und Stadtverband und auf Landes- / Bundesebene. Kontakte, Verbindungen, Zusammenarbeit und Netzwerke sind darauf angewiesen.“

Was ist deine Empfehlung für Vereinsvorstände?

„Es ist auch wichtig, Erfahrungen an den Nachwuchs weiterzugeben, potenzielle weitere Führungskräfte aufzubauen und ihnen Angst vor der Verantwortung in einem vertrauten, kollegialen Umfeld zu nehmen. Wenn man sich engagiert, dann sollte man es auch mit vollem Einsatz, Weitblick und Respekt machen. Nach meiner Erfahrung wachsen gute Führungskräfte langsam in ihre Aufgaben hinein. Es gibt kein Zaubermittel, sondern auch die Persönlichkeit ist entscheidend.

Heute müssen Führungskräfte teamfähig sein und Feingefühl besitzen. Ein funktionierendes Team kann mehr leisten, Vielfalt entwickeln und mehr Menschen mit unterschiedlichsten Begabungen zum Mitmachen gewinnen. Dazu gehört auch, den Einzelnen Freiräume und Spielräume für Ideen und Inspirationen zu bieten, sie mit ihren Leistungen leuchten zu lassen. Ein Team ist wichtig für das Knüpfen und Pflegen von Netzwerken, nach innen in die Organisationsstrukturen des Kleingartenwesens, vor allem aber auch nach außen in die Stadtgesellschaft, in weitere Vereine, Institutionen, Politik und Verwaltung hinein.

Dadurch entsteht Agilität, die ein robustes Fundament für lang angelegte Strategieprozesse und größere, besondere Projekte ist. Und: Es darf auch mal schiefgehen. Kein Meister fällt vom Himmel, besagt ja schon ein altes Sprichwort. Manche Aufgaben gelingen erst im zweiten Anlauf und dann vielleicht um so besser, mit mehr Herzblut und Wertschätzung für die Chance, die darin liegt.“


Das unermüdliche Engagement unserer Kleingartenvereine hat bereits in vielen nachhaltigen Projekten Früchte getragen
 ©Bezirksverband Castrop-Rauxel/Waltrop der Kleingärtner e.V.

Stephan, Du selbst hast eben die Stichworte „Strategieprozesse“ und „besondere Projekte“ genannt. Sind sie auch Ergebnisse Eurer Netzwerke, Eurer vielfältigen Begabungen im Team und Eurer Offenheit für Anstöße von außen?

„Wichtig ist der Aufbau von Kontakten und Beziehungen zu vielen verschiedenen Institutionen in dem Bewusstsein, dass jede davon ein großes Potenzial für eine gute Zusammenarbeit bietet. Auch das braucht Zeit und man muss Vertrauen für die Zusammenarbeit entwickeln. Unser Bezirksverband profitiert sehr von einer guten Zusammenarbeit mit den beiden Kommunen Castrop-Rauxel und Waltrop. Aber es ist eine Win-Win-Situation.

Ich glaube, dass finanzschwache Städte besonders auf das ehrenamtliche Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind. Unsere Kommunen unterstützen uns deshalb vielleicht um so mehr, sind Ideengeber und Drehscheiben für Partnerschaften mit unterschiedlichsten Akteuren.

Du bist 2013 auf uns zugekommen, als die Emschergenossenschaft im Rahmen des Emscherumbaus das Format „Fluss in Sicht“ entwickelt hat. Du solltest mit Kommunen und Institutionen des zivilgesellschaftlichen Engagements Projekte entwickeln und durchführen. Eines dieser Projekte war die Sommerakademie für kleine Wasserforscher in der Zauberwelt Wasser.

Wir bieten dieses Format im Rahmen des Casterix Ferienprogramms der Stadt Castrop-Rauxel nun schon über 10 Jahre zusammen mit der Emschergenossenschaft an – jedes Jahr in einem anderen unserer Kleingartenvereine, aber mit einem Netzwerk aus Betreuerinnen und Betreuern mit großer personeller Kontinuität. Wir haben auf diesen guten Erfahrungen aufgebaut und bieten mittlerweile unterschiedliche Formate mit vielen Partnerinnen und Partnern an.“

Unter dem Motto „Gemeinsam für das Emschertal“ fand die Sommerakademie für kleine Wasserforscher statt, die vom Bezirksverband Castrop-Rauxel/Waltrop der Kleingärtner e.V. in Kooperation mit der Emschergenossenschaft /Lippeverband ausgerichtet wurde
©Bezirksverband Castrop-Rauxel/Waltrop der Kleingärtner e.V.

Was für Formate sind das zum Beispiel und mit welchen Organisationen kooperiert ihr außerdem?

„Wir arbeiten zum Beispiel gemeinsam mit der Volkshochschule oder auch im Rahmen des Casterix-Ferienprogramms, mit dem Kirchenkreis Herne, um bei Kindern und Jugendlichen, die ja wichtige Multiplikatoren hinein in ihre Familien, Vereine, Freundes- und Schülerkreise sind. Mit dem Kirchenkreis Herne vermitteln wir die ganze lange Kette der Produktion, Distribution und Konsums von Nahrungsmitteln. Wir möchten Bewusstsein für eine Natur und Umwelt achtende, gesundheitlich und gesellschaftlich faire Gewinnung von Lebensmitteln und Gebrauchsgut unseres täglichen Lebens schaffen. Hier trifft Bildung auf nachhaltige Entwicklung.

Spielend lernen Kinder zusammen mit den Ehrenamtlichen den bewussten Umgang mit Ressourcen
©Bezirksverband Castrop-Rauxel/Waltrop der Kleingärtner e.V. 

Ja, und um eine Brücke in die Zukunft zu schlagen: Du hast gemeinsam mit dem Friedrich-Bödecker Kreis und mit circa 480 Jugendlichen zehn Romane, ein Hörspiel und hier in Castrop-Rauxel auch ein Theaterstück mit dem Westfälischen Landestheater geschrieben.
„Auf der Grundlage von Ökosystemleistungen der Streuobstwiesen, der Imkerei, des Weinbaus, der Gärten mit alten Kulturpflanzen und der Wasserwirtschaft haben Jugendliche eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau in diesem Park abgeschlossen, arbeiten weiterhin dort, im Emscherbetrieb oder sind in den freien Garten- und Landschaftsbau gewechselt.

Die Kleingartenvereine haben den Prozess begleitet und unterstützt. Sie werden auch in Zukunft Informations- und Fortbildungsangebote im Emscherland anbieten und damit einen Beitrag zur Internationalen Gartenausstellung der Metropole Ruhr 2027 in diesem IGA-Zukunftsgarten leisten. Aber, und das ist mir sehr wichtig, man kann auch ganz klein anfangen, zum Beispiel mit Kleingartenfesten, mit einem Oster-, Herbst und Weihnachtsmarkt in Kooperation mit weiteren Partnerinnen und Partnern.

Aus unseren kleinen Advents-, Tannenbaum- und Weihnachtsmärkten ist mittlerweile auch ein gemeinsames Großprojekt vieler Vereine und Institutionen geworden, zu denen die Verbraucherzentrale vor Ort, aber auch die Justizvollzugsanstalt, gehört.“

Vielen Dank, Stephan, für dieses Gespräch und viele Anregungen zu einem niedrigschwelligen Eintritt in Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement!

Unterstützung finden die Ferienprogramme bei Mitgliedern der Kleingartenvereine
©Bezirksverband Castrop-Rauxel/Waltrop der Kleingärtner e.V. 

Zum Abschluss noch eine Frage: Ich bin seit 2009 Vorsitzende der Landesbewertungskommission für den Landeswettbewerb Kleingärten in NRW, mit dem alle vier Jahre Kleingartenvereine prämiert werden, die sich durch beispielhafte ökologische, soziale und kulturelle Leistungen auszeichnen. Bei diesem Wettbewerb hat sich Castrop-Rauxel bereits oft durch Goldmedaillen nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene ausgezeichnet. Was motiviert euch, immer wieder die Kraftanstrengung der Bewerbung auf euch zu nehmen und als Team dafür zusammenzustehen? Was möchtest du vielleicht den Vereinen für den nächsten Landeswettbewerb im Jahr 2025 mit auf den Weg geben?

„Wir stemmen auch dieses Projekt als Team mit der Stadt zusammen, haben viel Stress, aber auch viel Spaß bei der Vorbereitung. Ich möchte dieses Thema mit einer Botschaft verbinden. Unsere Gesellschaft entwickelt sich immer mehr zu einer Schar von Individualisten. Wir müssen zusammenhalten und zusammen kämpfen, um unsere Werte und den hohen Wert der Demokratie zu erhalten.

Wir Kleingärtnerinnen und Kleingärtner sind viele, allein unter dem Dach des Bundesverbandes der Kleingartenvereine Deutschlands 900.000 Vereinsmitglieder und mit den dazugehörigen Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden circa fünf Millionen Menschen!

Auch im Kleingartenwesen müssen wir zusammenhalten und in der Öffentlichkeit zusammenstehen, sonst werden wir irgendwann nicht mehr wahrgenommen und verlieren unsere Kraft als gesellschaftlicher Motor. Als Anwälte der Kleingärten zusammenzuhalten und für ihre Existenz zu kämpfen, bedeutet, sich für gesellschaftliche Gerechtigkeit, für die Lebensqualität unserer Städte und Gemeinden mit dieser besonderen Form grüner und sozialer Infrastruktur einzusetzen – ein großer Fund gegenüber den Privatgärten.“

Autorin:

Prof. Dr. Dr. Martina Oldengott

Vorsitzende der Landesbewertungskommission für den Landeswettbewerb Kleingärten in NRW