Den niederländischen Nachbarn über die Schulter geschaut
Fachexkursion der Fachberaterinnen und Fachberater der Bezirks- und Stadtverbände nach Utrecht
Ein kluger Kopf hat mal gesagt: “Grenzen sind dazu da, dass man sie überwindet“. Diesen Gedanken haben die Fachberaterinnen und Fachberater der Bezirks- und Stadtverbände aufgegriffen und anlässlich ihrer diesjährigen Frühjahrstagung am 03. und 04.Juni 2016 den Blick über die deutsch-niederländische Grenze gewagt. Sie haben dabei nicht nur geographische Grenzen überschritten sondern auch die eigenen, gärtnerischen Gewohnheiten in Frage gestellt und damit die eingetretenen Pfade zumindest gedanklich verlassen.
Utrecht ist immer eine Reise wert
Nach einer zweistündigen Busfahrt erreichten die Gartenfreundinnen und Gartenfreunde gut gelaunt die ca. 350.000 Einwohner zählende Stadt Utrecht. Diese junge, moderne Stadt ist geprägt durch Wachstum und rege Bautätigkeit in den Außenbereichen sowie durch die Universität und die attraktive, von Kanälen durchzogene, lebhafte Altstadt. Ganz besonders prägend ist auch der enorme Fahrradverkehr, der in großen Teilen der Innenstadt sogar den Autoverkehr verdrängt hat und so für mehr Entspannung in der Stadt sorgt, sofern man nicht als Busfahrer mit einem sperrigen Bus unterwegs ist. Abgesehen von touristischen, städtebaulichen und gärtnerischen Highlights hat die Stadt auch eine beliebte Bierbrauertradition, die von den Kennern der Szene im Rahmen einer Führung durch die Brauerei von “Oudaen“ unter die Lupe genommen und für gut befunden wurde. Aber nun zurück zu den gärtnerischen Höhepunkten der Fachexkursion, zu denen der Besuch des Ausbildungszentrums und des Botanischen Gartens sowie Führungen durch zwei Kleingartenanlagen zählten.
Rundgang durch Utrechts Kleingartenanlagen
Ein Ausbildungszentrum nach dem Vorbild der Landesschule in Lünen
Zwischen neu entstandenen Wohnsiedlungen befindet sich auf dem Gelände einer alten Gemüseversteigerung das Ausbildungszentrum des nationalen Kleingartenverbandes AVVN (Algemeen Verbond van Volkstuinders Verenigingen in Nederland), siehe: www.avvn.nl . Mit Freude und ein wenig Stolz erfuhren die westfälischen Fachberaterinnen und Fachberater, dass das Zentrum im Jahr 2008 nach dem Vorbild der Landesschule in Lünen entwickelt wurde. Es dient als zentrale Anlaufstelle für ca. 25.000 – 30.000 Verbandsmitglieder, was etwa 25% aller niederländischen Kleingärtner entspricht.
Ebenso wie die Landesschule in Lünen bietet das Ausbildungszentrum in Utrecht seinen Mitgliedern diverse Schulungsmöglichkeiten an. Offensichtlich ist der gärtnerische Bildungshunger bei Frauen besonders groß. Gefragt ist auch der sogenannte “Marktplatz“, eine über den Verband betriebene Internetplattform für den Saatguttausch. Darüber hinaus nutzen die Kinder und Lehrer der umliegenden Kindergärten und Schulen den Garten des Ausbildungszentrums für intensive “Naturforschungen“. Davon konnten sich die Besucher aus Deutschland vor Ort überzeugen.
Kindergärten und Schulen nutzen das Gelände rund um das Ausbildungszentrum für intensive „Naturforschungen“
Neben dem in Utrecht ansässigen AVVN gibt es in den Niederlanden noch weitere Kleingartenverbände und viele Gärtner, die keinem Verband angehören. Ein Kleingartengesetz und den damit verbundenen Schutz des Kleingartenwesens kennt man in den Niederlanden nicht. Der Verband unterstützt seine Mitglieder bei der Sicherung der Flächen und bei Verhandlungen mit den Stadtverwaltungen. Die Gartengrundstücke werden vermietet, wobei man in der Regel die kleineren Gemüsegärten (ca. 150 m²) und die größeren Schrebergärten (250 – 300 m²), inklusive Gartenhaus (ca. 28 m²), unterscheidet.
Besuch des Botanischen Gartens und Führungen durch zwei Gartenanlagen
Die Fachexkursion führte die Fachberaterinnen und Fachberater auch in den Botanischen Garten der Universität Utrecht und in zwei Kleingartenanlagen. Bei optimalem Garten- und Reisewetter waren Blumen und Gemüse in Hülle und Fülle zu bewundern. Im Botanischen Garten konnte man in der gebotenen Zeit nur einen Eindruck von der Pflanzenvielfalt bekommen. Größe und Vielfalt des Gartens laden zu weiteren Besuchen ein.
Ans Hobbelink (links im Bild), Vorsitzende des Kleingärtnerregionalverband Utrecht, begleitete unsere Fachberater durch die Kleingartenanlage und den Botanischen Garten
Die Kleingartenanlagen De Hoge Weide und De Koekelt von VAT Ede warteten mit einigen Besonderheiten auf, wie z. B: die Lage zwischen Bürohäusern, der gemeinschaftlich genutzte Tafelgarten, der Wechsel von großen und kleinen, z. T. zaunlosen Parzellen, Gärten für Schafe, Bienen und Hühner oder Kooperationen mit Sportverbänden. Die Bilder sprechen für sich.
Dank für den herzlichen Empfang und die fachkundige Begleitung
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die niederländischen Kolleginnen und Kollegen für den freundlichen Empfang, die Offenheit und die überaus kompetente, fachkundige Führung und Begleitung, die dem Besuch aus Deutschland zuteil wurde. Stellvertretend für alle, die den Aufenthalt der Fachberaterinnen und Fachberater organisiert und begleitet haben, werden hier Ans Hobbelink, Chris Zijdeveld und Wim Hoentjen genannt, die als Beraterin bzw. Vorsitzender oder Geschäftsführer im nationalen Kleingartenverband in Utrecht tätig sind. Alle Beteiligten des Interessenverbandes und der besichtigten Kleingartenanlagen haben nicht zuletzt durch ihr spürbares Engagement, ihr Fachwissen und die deutsche Ansprache dafür gesorgt, dass sich die Gartenfreundinnen und –freunde des Landesverbandes Westfalen und Lippe sehr wohl gefühlt haben. Der Gegenbesuch der Niederländer ist für das Jahr 2017 geplant und wird schon gespannt und voller Vorfreude erwartet.
Wim Hoentjen, Geschäftsführer des niederländischen Kleingartenverbandes, stellte das zentrale Ausbildungszentrum in Utrecht vor.
Neue Entwicklungstrends im niederländischen Kleingartenwesen
Das niederländische Kleingartenwesen boomt! Darauf wies der Geschäftsführer des AVVN voller Stolz hin. In den Großstädten Amsterdam und Rotterdam warten die Interessenten zwischen 5 und 10 Jahre auf eine Parzelle. Auslöser des aktuellen Booms ist das gesteigerte Gesundheits- und Umweltbewusstsein und der Wunsch nach selbst angebauten, gesunden Produkten. Das Bedürfnis nach Naturnähe und der Nachhaltigkeitsgedanke gewinnen im Leben der Niederländer zunehmend an Bedeutung.
Einen weiteren, entscheidenden Akzent für den positiven Imagewandel im niederländischen Kleingartenwesen setzte die “Politik der offenen Tür“. Die konsequente Öffnung der Gartenanlagen für Externe und die Einbindung von Architekten, Künstlern, Studenten, Sportvereinen etc. bei raumordnerischen Fragen hat zu vielen neuen Ideen bei der Freiflächennutzung und vor allem zu einer größeren gegenseitigen Akzeptanz geführt.
Abschließender Blick über den Gartenzaun
Die Fachberaterfahrt nach Utrecht hat es gezeigt: Ein Blick über den Gartenzaun in den Garten des Nachbarn lohnt sich in vielerlei Hinsicht. Die niederländische Art der Garten- und Lebenskultur hat eigene Grenzen im Kopf geöffnet und viele neue Anregungen für den heimischen Garten oder die Gartenanlage aufgezeigt. Die Nachbarn zeigen, dass es auch anders geht. Gärtnern funktioniert auch ohne Zäune und Lauben oder mit unterschiedlich großen, bedarfsgerechten Gärten. Öffentlichkeit, Partizipation und Gemeinschaftsaktionen bringen Vorteile für alle Seiten und stabilisieren das Kleingartenwesen. Kompetenz durch Schulungen und Austausch mit Spezialisten und anderen Fachbereichen öffnet neue Horizonte und Möglichkeiten. Gärtnern mit Phantasie und einer gewissen Toleranz ist schön, sinnvoll und macht viel Freude, die auch nach außen strahlt und Menschen mitreißen kann.
Ulrike Brockmann-Krabbe, Landesfachberaterin